Falstaff, Premiere 26.06.2010:
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" Alles in der Welt ist Posse"
unter diesem Motto inszeniert Bernd Weikl Verdis "Falstaff" und singt die Titelpartie
Weikl nimmt das Motto "Alles in der Welt ist Posse" zum Ausgangspunkt seiner Inszenierung. In den drei Akten gelingt mit viel Turbulenz ein temporeiches buffoneskes Spiel. Die vergnüglichen Clownerien gleiten jedoch nie in platte Späße ab. Immer ist das ironische Augenzwinkern dabei. Am Ende gelingt sogar der Spagat Falstaffs epikureischen Lebensstil als eine Möglichkeit der Weltsicht zu verstehen. Die Doppeldeutigkeit von Verdis Komödie. dieses Schwanken zwischen Heiterkeit und Ernst, Lachen und Weinen wird prägnant herausgearbeitet.
Hierzu trägt das gelungene Bühnenbild von Thomas Dörfler sehr viel bei. Das ganze Spiel bewegt sich um und in einer alles beherrschenden Erdkugel, auf er in großen Lettern das Motto "Tutto nel mondo è burla" prangt. Die Rückwand der Kugel läßt sich vielfältig öffnen, so dass "die ganze Welt" das Spiel auf der Bühne verfolgen kann. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, weil durch Dekoration an den Seitenwänden tatsächlich die Prominenz der Welt wie Papst Benedikt, Barak Obama, Angela Merkel, Madonna, Pavarotti. Shakespeare, sogar Verdi selbst und viele andere dem fröhlichen Treiben auf der Bühne ständig zusehen. Ein fabelhafter Regieeinfall, der während des ganzen Abends das Motto "Alles in der Weilt ist Posse" eindrucksvoll dokumentiert.
Verstärkt wird der Eindruck noch durch die farbenfrohen Kostüme,die Julia Holewik geschaffen hat.
Bernd Weikl kennt seinen Falstaff natürlich in allen Facetten und Details. Eine solche Werkkenntnis ist bei modernen Regisseuren leider nicht immer vorhanden. Deshalb kann sich die Inszenierung auch ganz auf die Handlung konzentrieren, braucht keine Verfremdungen und wirkt doch frisch, spritzig, modern und lebendig. Das Orchester des Pfalztheaters unter seinem Dirigenten Uwe Sandner kann diesem Konzept auch musikalisch folgen und Verdis Alterswerk überzeugend und tonschön zum Klingen bringen.
Der Sänger Weikl trägt das überwiegend junge Sängerensemble als Regisseur quasi auf Händen. Er gibt Ihnen Raum, sich darstellerisch und stimmlich zu entfalten. Trotz des Tempos der Handlung werden die Sänger auch bei den bewegtesten Szenen nie atemlos. Was sängerisch geboten wird, kann getrost als Fest der Jungen Stimmen bezeichnet werden. Carlos Aguirre als Ford, Steffen Schanz als Fenton,John Pickering als Dr. Cajus, Adele Fink als Alice, Wieoletta Hebrowska als Meg, Yanyu Guo als Quickly und Arlette Meißner als Nannetta unterstreichen durch ausgezeichnete gesangliche Leistungen den hervorragenden Ruf, den das Pfalztheater Kaiserslautern als Sprungbrettbühne für junge Gesangstalente genießt. Marian Henze und Alexis Wagner bringen neben schönen Stimmen als Bardolfo und Pistola viel komödiantisches Talent in die Aufführung ein.
Gerade der "Falstaff" lebt wie keine der anderen Verdi-Opern von der stimmlichen Ausgewogenheit der Ensembleszenen. Trotzdem wird der Darsteller des Falstaff immer im Mittelpunkt stehen, besonders wenn er Bernd Weikl heißt und dessen Bühnenpräsenz mitbringt. Auch stimmlich überzeugt Weikl mit einem in allen Lagen volltönenden Bariton, mit dem er alle gesanglichen Nuancen der Riesenpartie voll ausschöpfen kann. Darstellerisch und gesanglich eine Leistung , die Weikl in eine Reihe mit den größten Darstellern dieser anspruchsvollen Partie stellt. Nach diesem Erlebnis fragt man sich kopfschüttelnd, warum die großen Häuser ihren älteren Ausnahmesängern oft so wenig Auftrittsmöglichkeiten bieten?
Bravissimo, dass ein Haus von der Größe des Pfalztheaters Kaiserslautern einen solchen gelungenen, großen Theaterabend bieten kann. Dieser "Falstaff" ist eine Reise in die schöne Pfalz wert!
Tamino-Klassikforum,
27. Juni 2010
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Ein Beitrag von Thomas Rath
„Falstaff“. Schlussbild. Alle sind auf der Bühne: Der von seiner Eifersucht kurierte Ford, seine Frau Alice und ihre Freundinnen, der düpierte Dr. Cajus, die mit ihrem Geliebten endlich vereinte Nannetta... Alle. In der Mitte der Lebemann Sir John Falstaff, gedemütigt, aber unbeirrt in seiner Maxime: Tutto nel mondo è burla – Alles in der Welt ist Posse.
Und alle stimmen ein. Ein tolles Bild voll sprühendem Witz und tiefer Weisheit, auch in Kaiserslautern.
Hier macht Regisseur Bernd Weikl vom ersten Augenblick an klar, wohin die Reise geht:
Ins Italien des 18. Jahrhunderts, in die Welt der Commedia dell’arte, allerdings angereichert durch Elemente neuzeitlicher Dramaturgie, wie gleich zu Beginn. Noch vor der Ouvertüre nämlich gelingt Weikl ein Kabinettstück ersten Ranges: Allein auf die Bühne kommend, wird er vom Publikum mit stürmischem Applaus empfangen. In diesen Applaus lässt er schnell seine gesamten Akteure eintauchen wie üblicherweise zu Ende der Vorstellung. Damit bildet sich nicht nur ein hintersinniger Kreislauf, Weikl führt dem Publikum seine eigene Verführbarkeit vor und bezieht es so vorab in die Reihe der zum Schlussbild vereinten Protagonisten mit ein.
Das Bild des Kreislaufs, der stetigen Wiederkehr von Ähnlichem, ist eines der Grundmotive, die Weikl deutlich herausstellt. Bühnenbildner Thomas Dörfler bekräftigt diesen Ansatz durch das Bild einer riesigen runden Erdkugel, das er zentral auf die Szene stellt. Die vielen Fenster, die sich für den Chor immer wieder darin öffnen, machen darüber hinaus deutlich: Privatheit ist Illusion, hier kriegt jeder alles mit.
In der Personenführung profitiert Weikl von seiner jahrzehntelangen Praxis. Falstaffs Diener Bardolfo und Pistola geraten zu urkomisch-schrägen, widerspruchsvollen Existenzen, gleichermaßen verschlagen und dreist wie dumm und feige. Dem eleganten Ford nimmt man die Verzweiflung über die geglaubte Untreue seiner Frau genauso ab wie seine Bitte um Versöhnung. Alice und ihre quirligen Freundinnen zweifeln an ihrer Überlegenheit den Männern gegenüber keinen einzigen Augenblick.
Die Rolle des Falstaff ist Bernd Weikl wie auf den Leib geschnitten. Er verkörpert den Ritter als ein melancholisches Relikt einer idealen Welt, als Schmelztiegel gröbster Sinnlichkeit und tiefster Gedanken.
Unterstützt durch ein auch stimmlich sehr gut besetztes Ensemble und durch ein Orchester, das unter seinem GMD Uwe Sandner immer wieder zu wirklich großer Form aufläuft, hat Bernd Weikl eine schwierige Doppelaufgabe bemerkenswert gemeistert. Er bringt viele witzige Ideen in sein Spiel und in seine Inszenierung ein. Nur ganz wenige Elemente erschließen sich bis zum Schluss nicht: Die Puppe beispielsweise, die Falstaff als kleines Abbild seiner Selbst immer mit sich herum trägt oder der Menschenaffe, der gelegentlich auftaucht, bleiben Theaterklamauk. Dem überaus kurzweiligen Abend tun diese kleinen Ungereimtheiten aber nicht den geringsten Abbruch.
SWR2,
28. Juni 2010
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Von Ehre wird niemand satt
Vom Redaktionsmitglied Uwe Rauschelbach
Zu den pfälzischen Tugenden zählen Gemütlichkeit und Leutseligkeit. Da kann sich einer wie Falstaff zwischen Rhein und Haardt richtig heimisch fühlen. Der Held in Verdis Oper stolziert auf der Bühne des Kaiserslauterner Pfalztheaters denn auch mit dem Habitus eines auf Wein- und Wurstfesten sozialisierten Genussmenschen umher.
Dabei wissen wir natürlich, dass Pfälzer in Strickjacken durchaus Machtmenschen sein können, die es mit den vielbeschworenen Tugenden nicht immer so ganz genau nehmen. So einer ist auch Falstaff in der Inszenierung von Regisseur und Kammersänger Bernd Weikl, der den Ritter von gar nicht trauriger Gestalt gleich selbst verkörpert: ein beleibter Biedermeier, der es zudem faustdick hinter den Ohren hat. Und der für einen schnöden Geldgewinn oder ein schlüpfriges Rendezvous durchaus ein paar gute Vorsätze sausen lässt. Tugenden wie Ehre oder Gottesfurcht werden in Verdis einziger Buffa-Oper, die sich auf Shakespeares Textvorlage der "Lustigen Weiber von Windsor" stützt, karikiert. "Kann die Ehre auch den Bauch füllen?" nimmt Falstaff jenes Brechtsche Diktum vorweg, wonach die Welt das Fressen vor die Moral gesetzt habe.
Harmlos und unbedarft
Bernd Weikl, der dem abgehalfterten Ritter mit kräftiger Baritonstimme Kontur gibt, spielt die Hauptfigur eine Spur zu harmlos und unbedarft. Er wirkt in seiner bräsigen Gutmütigkeit zu sympathisch. Seine trickreichen Händel in der Finanz- oder Weiberwelt nehmen wir ihm nicht ab. Als Getriebener stolpert er von einer Szene in die andere, und selbst wenn die Lehre am Ende alle Beteiligten - einschließlich der Zuschauer - als Genasweiste entlarvt, so bleibt Falstaffs dramaturgisch insinuierte diabolische Charakterstruktur ebenso blass wie der Running Gag in Gestalt eines im Gorillafell steckenden Statisten, der immer mal wieder bedrohlich nahe an der ersten Zuschauerreihe entlang hetzt.
Dennoch beeindruckt uns die Inszenierung nachhaltig. Regisseur Bernd Weikl und Dramaturg Andreas Bronkalla retten das Stück trotz der zahlreichen Krawallszenen, der Staccatogesänge, der kakophonischen Tutti-Partien und der stets triumphieren wollenden Bauernschläue vor den Anmutungen eines rustikalen Komödienstadels. Immer wieder brechen ganz spontan Anflüge von Tragik in die Szenen ein, wird uns unter dem Himmel der Liebe auch die Hölle der Enttäuschung gezeigt. Es kommt zu bewegenden Szenen, von denen uns vor allem das Finale mit der in Elfengewändern auftretenden Gesellschaft in seiner fabelweltlichen Ästhetik und seiner versöhnlichen Wende bewegt.
Wobei die phantasievolle Lichtregie (Manfred Wilking) einen großen Anteil an der szenischen Gestaltung hat. Das Bühnenbild (Thomas Dörfler) zeigt uns die halbe Erdkugel auf einer Scheibe, die mit der zentralen Erkenntnis überschrieben ist: "Alles in der Welt ist Posse." Begeisternd spielt zur Premiere das Pfalztheaterorchester unter Leitung von Uwe Sandner auf. Es ist sehr nahe dran am Bühnengeschehen und kommentiert Gesang und Aktionen mit Sensibilität und Präsenz.
Die gesanglichen Leistungen der Darsteller sind fast durchweg höchst beachtlich. Neben Bernd Weikl agiert Carlos Aguirre in der Rolle des Ford, der die Schmerzen der Liebe in einer durchdringenden Bariton-Arie besingt. Oder Steffen Schantz mit einer Belcanto-reifen Tenorarie, in der die ganze Leidenschaft der Gefühle zum Ausdruck kommt. Vor allem aber Arlette Meißner, die die Rolle der Nannetta mit Gold in der Stimme verkörpert - ein Sopran wie Vogelgesang im Frühling. Das erquicklich-durchtriebene Quartett an Intrigantinnen vervollständigen Adelheid Fink als Alice, Yanyu Guo als Quickly und Wioletta Hebrowska als Meg Page. Nicht zu vergessen der wohlklingende Chor des Pfalztheaters (Ulrich Nolte).
Mannheimer Morgen,
29. Juni 2010
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Musiktheater: Verdis "Falstaff" feiert am Pfalztheater Kaiserslautern Premiere
Ritter mit Bauch und Puppe
Kammersänger Bernd Weikl inszeniert und singt Verdis „Falstaff" am Pfalztheater in Kaiserslautern
Von Frank Pommer
Mit Bernd Weikl hat das Pfalztheater einen der Stars der Szene für die Titelpartie in Verdis letzter Oper „Falstaff" verpflichtet. Es gibt nicht viele Sänger, die diese Partie so singen und spielen können. Der Kaiserslauterer „Falstaff" mit Generalmusikdirektor Uwe Sandner am Pult wird aber zum Weikl"schen Gesamtkunstwerk: Wie schon 2002 in der „Salome", der ersten Premiere in der Ära von Intendant Johannes Reitmeier, führt der Kammersänger auch Regie.
Wenn der Vorhang aufgeht, steht da schon, um was es eigentlich geht: „Tutto nel mondo è burla." Alles in der Welt ist - Posse. Schmierenkomödie. Das ganze Leben ist ein Quiz, und wir sind nur die Kandidaten. Hier aber mal wirklich. Bühnenbildner Thomas Dörfler hat Regisseur Weikl eine Weltkarte auf die Bühnenrückwand geworfen, in der sich Türen und Fenster öffnen lassen, von denen aus das böse oder vielleicht auch lustige Spiel, das die Welt mit Falstaff und Falstaff mit der Welt treibt, beobachtet werden kann. Die Seitenwände unterstreichen, wie allumfassend die zentrale Botschaft des Abends ist: Quasi die ganze große und kleine Welt ist dort versammelt, von Angela Merkel bis Papst Benedikt, von Generalmusikdirektor Uwe Sandner bis Bezirkstagsvorsitzender Theo Wieder, Horst Köhler ebenso wie Madonna, Giuseppe Verdi wie Franz Beckenbauer. Die beiden Seitenaltäre lassen sich zum Triptychon vervollständigen: Mit Muskelkraft kann die Bühne bei den Szenewechseln der Handlung gedreht werden: Die Rückseite der Welt zeigt dann die ganze bunte Promi-Welt.
Willkommen also in der Traumfabrik Verdis, im Zirkus Falstaffs. Die Manege öffnet sich, noch ehe die ersten Klänge aus dem Graben kommen. Das gesamte Opernpersonal zieht vorbei, allesamt Gaukler und Artisten unter der Direktion des fetten Ritters. Der aber, so dick er auch sein mag in seinem fassartigen Bauch, der ihm vor aller Augen angelegt wird, kommt nicht ohne einen Doppelgänger aus: Eine kleine Handpuppe begleitet ihn durch das wilde Treiben, das die lustigen Weiber von Windsor mit ihm veranstalten. Sie ist es beispielsweise auch, die am Ende des 2. Aktes stellvertretend für ihren Puppenspieler in eine Badewanne plumpst - man wird sich also tatsächlich fragen dürfen, wer hier wen foppt.
In den Kostümen von Julia Holewik lässt Regisseur Weikl darüber hinaus Verdis geniales Alterswerk weitgehend ohne inszenatorische Eingriffe ablaufen. Er vertraut dem Stück, und vertraut natürlich vor allem sich selbst. Und es ist faszinierend, wie der Falstaff-Darsteller Weikl unter der Regie des Falstaff-Regisseurs Weikl von der Bühne des Pfalztheaters Besitz ergreift. Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, müsste man von einer Paraderolle sprechen. Dabei gerät er stimmlich in der Höhe oder auch im Falsett durchaus an seine Grenzen, aber das spielt überhaupt keine Rolle, weil Weikl mit jeder Geste, mit jeder Bewegung, mit jedem geseufzten, gehauchten, strahlend herausgeschmetterten Ton ganz der letzte Ritter von der feisten Gestalt ist. In hautengen Radlerhosen. Das nennt man dann wohl mutig...
Doch auch in seiner albernen Kostümierung rettet Weikl die Würde des dicken Ritters. Er hat jedenfalls unsere Sympathien, viel mehr als der kraftmeierische Muskelprotz Fenton (Steffen Schantz) oder auch der smarte Ford, der ja mit seinen Plänen und Intrigen am Ende ebenso scheitert wie Falstaff selbst. Und den Carlos Aguirre geradezu verschwenderisch mit strahlendem heldenbaritonalem Stimmmaterial ausstattet.
Gesungen wird überhaupt weitgehend auf hohem Niveau, gerade auch von den Damen, angeführt von einer äußerst verführerischen Alice Ford (Adelheid Fink), der man ihre unverbrüchliche Treue zu ihrem Mann eigentlich nie glauben will. Arlette Meißner singt als Nanetta im Schlussakt eine wunderbare Elfenkönigin, aber auch Yanyu Guo (Miss Quickly) und Wioletta Hebrowska (Meg Page) überzeugen stimmlich. Nur darstellerisch greift die Personenregie Weikls etwas zu kurz. Aus dem Damenquartett müssten ebenso viele komischen Funken sprühen wie aus den Auftritten der Titelfigur. Hier aber verpufft die komödiantische Energie dieser Oper fast etwas, anders als beim männlichen Rest des Ensembles, bestehend aus John Pickering (Cajus), Marian Henze (Bardolfo) und Alexis Wagner (Pistola), die darstellerisch von Weikl offenbar mitgezogen werden.
Dass der „Falstaff" Verdis mit Abstand heikelste und schwierigste Partitur ist, ist eine Binsenweisheit. Hier lässt sich kein Wackler mit einer Aida-Trompete übertröten. Alles ist hörbar in diesem unglaublich transparent notierten, mit der Polyphonie spielenden und einer großen Schlussfuge auftrumpfenden Orchestersatz. Die Ensembleszenen werden zur Schwerstarbeit für Generalmusikdirektor Uwe Sandner, der jedoch nicht verhindern kann, dass Bühne und Graben hin und wieder eine Art Eigenleben entwickeln. Weikls innige Umarmung an den musikalischen Chef des Abends zum Schlussapplaus ist dennoch mehr als verdient. Weil dieser „Falstaff" eine rundum gelungene Produktion ist.
Rhein-Pfalz, 28. Juni 2010
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Tutto nel mondo è burla
von Frank Herkommer
On parle francais, meint Adorno und hält den Dictionnaire für entbehrlich beim Lesen von Pornographie in fremden Sprachen, weil sich die Worte etwa im Französischen eines de Sade von selbst erschlössen. Parliamo italiano bei Bernd Weikls Inszenierung des Falstaff am Pfalztheater Kaiserslautern. So geistreich und köstlich Lothar Nickels deutsche Übertitelung auch sein mag, der singende Regisseur hat ein Lehrbeispiel für sich selbst erzählende Geschichten auf die Bühne gebracht. Ein hapax legomenon jagt das andere - und jeder versteht auch ohne Lo Zingarelli. Einerseits eine spritzige, keine Sekunde langweilende, die Regeln der stimmlichen Frontausrichtung ohne Hauch von Statik berücksichtigende, eloquente und burleske Commedia dell' arte-Inszenierung, opera buffa mit wunderbaren selbstironischen Brechungen. Wenn der Abgesang auf den Fresser und Säufer, den unskrupulösen Abdomenadoranten und verspäteten Frauenvernascher, den Winkelmoralisten vervierfacht wird: dem naturgegebenen Bassistenbauch ein zweiter übergestülpt, dazu die entsprechende Puppe mit Weiklschem Konterfei und Kunstbauch. Die Kunstfigur psychologisch nicht überzubewerten, wenn der Dicke mit sich selbst tanzt verstärkt er Befindlichkeiten mehr als sie zu reflektieren. Entscheidend ist, frei nach Bauchpfleger Kohl, was unten raus kommt und in die Themse fällt. Ein Gorilla wie aus dem Kultfilm Glücksritter, der den BH aus dem Graben anlegt, FCK-Schal tragende listige Weiber, weil die Manegen im Zirkus der Moderne Kicker bewundern, Kostüme und Frisuren (Bardolfo! Halb Mann, halb Braut), die den urtümlichen Stegreifcharakter bewahren. Um dann, im Hintergrund mit dem Geniebildnis schlechthin, augenblinkernd, mit pittoresker Anmut und Leichtigkeit Shakespearsche Komödie zu inszenieren, mit ihrem Kapriolen schlagenden Humor, Lust am Necken und Foppen und Zwicken. Als träume Zettel weiter, Langohren treten auf und der schwarze Ritter, mit einem Geweih, das ihm zum Verhängnis wird, statt irgend jemandem die Hörner aufsetzen zu können. Gelungen auch der Wechsel zwischen Engführung auf das Geschehen und bedientem Voyeurismus, wenn Chor und Statisten mit uns Maulaffen feilhalten. Weikl bringt all seine Routine, sein gewaltiges Theaterweltwissen ein, gepaart mit dem Wollen, sich einen Jux zu machen, dabei vortrefflich unterstützt von Dramaturg Andreas Bronkalla.
Das farbenprächtige und einfallsreiche Bühnenbild von Thomas Dörfler. Prinzip Drehbühne. Zwischen Fries und Retabel das Cover von Sgt. Pepper's lonely hearts band, angereichert mit lokaler, regionaler und Weltprominenz, dazu die Protagonisten auf, unter und vor der Bühne, burlesk und irre komisch, alleine die Zuordnung eine liebevolle Watschen. Der Globus mit der Aufschrift Tutto nel mondo è burla, die Welt als Possenspiel, global village, mit neugierigen Nachbarn am Fensterladen und mitten drin im Geschehen die morsche Terebinthe, in deren Geweih am Schluss Dickerchen junior allein zuhause ist.
Mit der jungen Absolventin Julia Holewik gibt das Pfalztheater Kaiserslautern einer hochbegabten Kostümbildnerin die Chance, ihre schier unerschöpfliche Phantasie, ihre Empathie und ihre äußerst ansprechende Ästhetik einzubringen. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen möchte. Und wenn sie Tenor Steffen Schantz hauteng einkleidet, erzählt sie uns vom sich abzeichnenden Abdomen an jedem Mann.
Uwe Sandner hat die musikalische Leitung dieser außergewöhnlichen, späten Verdi-Oper. Den Stimmträgern fordert er äußerste Präzision ab, hält das ungeheure Tempo im Graben durch, auch wenn er dadurch vor allem in den Stakkato–Passagen leichte Wackler in Kauf nimmt. Insgesamt ein großartiges Hörvergnügen, technisch auf höchstem Niveau, verspielt und burlesk. Comme il faut...
Die Einzelkritik. Insgesamt ein fabelhaftes Team. Bernd Weikl natürlich der Dominator. Von ungeheurer Präsenz, stimmlich wie mimisch. Ein Falstaff, der sich für immer in das Gedächtnis einbrennt, der die Lachmuskeln bedient und bei aller Schadenfreude auch Mitleid zu erwecken weiß. Ein Ereignis am Pfalztheater. Der Mexikaner Carlos Aguirre in der Rolle des Ford ebenfalls eine Besetzung der Extraklasse. Sein Bariton viril und schmeichelnd in einem, die Stimme elegant und präzisest. Haustenor Steffen Schantz singt mit Bravour und Charme den Fenton. John Pickering, Australier mit vorzüglichem Deutsch, ein Dr. Cajus, der den alternden Galan überzeugend mimt und stimmlich zu gefallen weiß. Alexis Wagner mit verwegenem Zwirbelbart und fester Stimme ein ansprechender Pistola. Marian Henze ein spielwitziger, stimmschöner Bardolfo. Die Frauen: Was für herrliche lustig-listige Weiber! Die energische Alice Ford, vorzüglich gespielt und mit gerade in den hohen Tönen begeisternder Stimme Adelheid Fink. Arlette Meißner, jubelnder Sopran und eine strahlende Nannetta, Yangyu Guo eine beeindruckende Quickly mit gerade in den tiefen Passagen überragenden Mezzostimme. Die Meg Page wird von Wioletta Hebrowska gesungen und gespielt, die sich dem hohen Niveau nahtlos einfügt. Der Chor unter Leitung von Ulrich Nolte zeigt sein Vergnügen an der Regieleistung und spielt und singt sich und das Publikum in burleske Stimmung. Commedia dell'arte und Shakespearsche Märchenwelt, Weikl schafft es, beides auf die Bühne zu zaubern. Ohne Brüche. Mit einem augenblinkenden Shakespeare-Oval, das anzeigt: Sommernachtsträume sind jetzt erlaubt. Und er hat dafür ein Team, das er besser nicht hätte zusammen stellen können: Die hochtalentierte, entzückende und wunderbar unverbrauchte Julia Holewik, am Anfang einer großen Karriere, die Kostüme schafft, so überschäumend an Einfällen, dass alleine wegen dieser Augenweide ein zweiter Besuch Pflicht ist. Mindestens.
Das Publikum begeistert. Applausfreudig. Einige fremdeln mit ihrem „gewohnten“ Verdi. Zwölf Minuten langer Applaus. Kein Saisonrekord, aber bei Opern schon. Nur einige wenige Standings. Schade! Viele schlossen sich bei der Premierenfeier Falstaff an: Andiamo mangiare!
Opernnetz,
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28.Juni 2010
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„Achtkantig…!“ – Diplomkostüme im Studiotheater
von Olja Yasenovskaya
Mit Ecken und Kanten interpretieren die acht Diplomandinnen des Studiengangs Szenografie - Kostüm an der Fachhochschule Hannover Werke von Shakespeare, Preußler und anderen. „Achtkantig...!“ heißt die Diplompräsentation am Freitag, 25., und Sonnabend, 26. Januar. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro; Kartenbestellung ist unter achtkantig@yahoo.de möglich.
An jedem Abend sind vier der acht Diplome zu sehen. Heiter und tragisch, faszinierend und beklemmend, Traum und Albtraum – die Absolventinnen interpretieren die Literaturgeschichte in ihrer ganzen Bandbreite. Schauspiel-Studierende der Hochschule für Musik und Theater führen in den Diplomkostümen 15-minütige Auszüge aus den ausgewählten Werken auf. Der Münchner Regisseur Werner Eggenhofer setzt die Präsentation in Szene.
Der Freitagabend beginnt mit einer Szene aus Ottfried Preußlers Jugendbuch „Krabat“. Diplomandin Anna Scholich lässt in ihre Arbeit zahlreiche Aspekte der sorbischen Sage um den Zauberlehrling Krabat einfließen. Ein Schattentheater erweitert die Bühne um eine fantastische Zauberwelt.
Mareike Porschka entführt das Publikum in die verzweifelte Seele eines realitätsfremden jungen Mannes. Fantasie, Traum und Realität verschmelzen in den Szenen zu „Sobald fünf Jahre vergehen“ von Federico García Lorca.
William Shakespeare liefert Anna Ignatieva einen Klassiker: Die Diplomandin bringt „König Lear“ auf die Bühne, wo sich die über 400 Jahre alte Figuren in einem zeitlosen dunklen Bühnenraum zwischen Liebe und Lieblosigkeit, Lüge und Wahrheit, Blindheit und Fähigkeit klar zu sehen befinden. Wer hat noch Mut zu weinen? Diese Frage stellt Ignatieva dem Publikum.
Das sozialkritische Melodram „Kasimir und Karoline“ des großen Realisten Ödön von Horvath hat Catharina Bornemann inspiriert. Schauplatz der in die Brüche gehenden Liebesbeziehung ist das Oktoberfest während der Zeitenwende der beginnenden dreißiger Jahre. Bornemanns Kostümentwürfe schwanken zwischen Tracht und Alltagskleidung und verkörpern so die Umbruchsstimmung, das Ende aller Illusionen und Wünsche.
Am Sonnabendabend kommen lauter Klassiker auf die Bühne.
Goethes enger Freund Philipp Christoph Kayser vollendete 1785 die Partitur zu „Scherz, List und Rache“, einem intrigant-komischen Singspiel des großen Dichters. Janne Gronnemeyer zeigt mit ihrer Abschlussarbeit, wie modern die Handlung auch heute noch ist.
Radha Freudemann adaptiert Andersens rührendes Märchen „Die Schneekönigin“ in der Bühnenfassung von Jewgeni Lwowitsch Schwarz. Den Konflikt zwischen Gut und Böse symbolisiert sie zeitgemäß in Andersens Tradition und bringt Kälte und Wärme auf die Bühne des Studiotheaters.
Heiter geht es zu, wenn Irina Rjabow P.L. Travers’ „Mary Poppins“ in Szene setzt. Mühelos lässt das beliebteste Kindermädchen der Welt seine Fantasie spielen, um die Kinder vor den Sorgen und Verpflichtungen der Erwachsenen zu beschützen. Eine aufregende, bunte Viertelstunde.
Julia Holewik versetzt Verdis „Macbeth“ in das 70. Jahrhundert. Alter und Jugend spielen keine Rolle mehr, alle Menschen befinden sich in ihrer körperlichen Blütezeit. Eine perfekte Welt – künstlich, strahlend weiß und klinisch rein. Eine Welt, die befleckt werden will.
FH Hannover, 22. Januar 2008